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„Intimsphäre darf nicht Gegenstand von Berichterstattung sein“ – Exklusivstorys aus der Pressemitteilung

Topf voll Gold – Geschichten vom Ende des Regenbogens“ heißt das Berliner Blog, auf dem Moritz Tschermak gemeinsam mit seinem Freund und Kollegen Mats Schönauer die teilweise absurden Promi-Geschichten der deutschen Regenbogenpresse unter die Lupe nimmt – und untersucht, was dahintersteckt. In vielen Fällen lautet die Antwort: nichts. Außerdem sind die beiden für den „Bildblog“ verantwortlich, in dem die größte Boulevardzeitung Deutschlands regelmäßig kritisiert wird. Im Interview erzählt Tschermak, wie er das Regenbogenvokabular lernte, was der Kioskverkäufer seines Vertrauens damit zu tun hat und welche Schlagzeile ihn besonders schockiert hat.

topfvollgold1_Mats Schonauer (lin ks)_Moritz Tschermak (rechts)Moritz, die typische Zielgruppe für Promi-Klatschhefte repräsentierst du eigentlich nicht. Wie kamst du darauf, ausgerechnet zu diesem Thema ein Blog zu starten?
Moritz Tschermak: Mats und ich haben beide in Dortmund im gleichen Semester Journalismus studiert und haben nah beieinander gewohnt. Manchmal waren wir zusammen im Supermarkt. Wenn wir an den Zeitschriftenregalen stehen geblieben sind, haben wir uns die üblichen Verdächtigen angeguckt, die größeren Tageszeitungen oder Magazine. Die große bunte Wand der Regenbogenpresse haben wir uns gespart. Aber irgendwann war uns danach, da reinzugucken, weil wir schon immer mit einem halben Blick gesehen haben: Die heißen irgendwie alle gleich und da lächelt immer Helene Fischer vom Cover runter. Wir haben relativ schnell gemerkt, dass es viele verschiedene Titel gibt und wirklich jeder verbreitet ziemlichen Quatsch. Große Versprechen auf der Titelseite in skandalösen Überschriften, und wenn man dann den Artikel dahinter liest, fällt alles in sich zusammen.

Und wie ging es dann weiter?
Der zweite Schritt war zu schauen, wie groß der Markt tatsächlich ist. Wir haben festgestellt, dass das ein ganz schönes Volumen am Print-Markt in Deutschland ausmacht: Alle Regenbogenverlage zusammen drucken mehr als 500 Millionen Hefte pro Jahr. Und niemand kritisiert das regelmäßig. Es war naheliegend zu sagen: Dann machen wir das. Die ersten Ideen dazu kamen im Februar 2013. Dann hat es ein paar Wochen gebraucht. Am 11. April 2013 sind wir dann online gegangen.

Wie kann man sich das vorstellen: Zieht ihr los und kauft euch ganz viele Klatschhefte oder geht das auch über das Internet?
Diese Titel haben eine klare Zielgruppe, die vergleichsweise alt ist. Dementsprechend sind das Leute, die nicht so viel im Internet surfen. Dadurch gibt es die Blätter kaum online abrufbar. Der Bauer Verlag hat inzwischen ein paar E-Paper, aber da hört es dann schon auf. Wir müssen uns tatsächlich alles in Papierform besorgen. Der Gang zum Kiosk ist unumgänglich. Wir hätten uns natürlich auch jedes Heft abonnieren können, das wäre aber teuer. Da ist es für uns von Vorteil, dass wir den Kioskbesitzer bei uns um die Ecke kennen. Der weiß, dass wir am Ende 5 bis 15 Hefte mitnehmen und er mit uns ein gutes Geschäft macht. Im Gegenzug lässt er uns am Kioskregal schon in die Hefte reinlesen. Dadurch können wir abschätzen, welches sich zu kaufen lohnt.

Wonach wählt ihr die Themen aus?
Es gibt bestimmte Codes: Wenn die Zeitschriften zum Beispiel von exklusiv schreiben, ist es meistens nicht exklusiv, sondern von einer Pressemitteilung abgeschrieben. Das kann man gut dechiffrieren. Wenn unheilbare Krankheiten von Kindern thematisiert werden, weiß man, das ist meistens Heuschnupfen, Legasthenie oder so was in der Art. Wortwörtlich genommen stimmt es, die Krankheiten sind unheilbar, aber es wird suggeriert, dass das Kind in Lebensgefahr schwebt. Man legt sich sozusagen ein kleines Regenbogenvokabular zu. Viele Perlen stecken aber auch erst im Heftinneren.

Gibt es eine Berichterstattung oder Schlagzeile, die dich besonders geschockt hat?
Was uns überrascht, ist mit welcher Konstanz diese Hefte das Schicksal von Michael Schumacher begleiten. Sein Skiunfall war Ende Dezember 2013. Doch sie schreiben jede Woche eine neue Geschichte. Abgesehen davon gab es eine Schlagzeile, die ich nach wie vor unglaublich finde: Eines der kleineren Hefte zeigte auf dem Cover die Fürstin Charlène von Monaco. Dazu wurde getitelt: Unfruchtbar! Mit einem Ausrufezeichen dahinter und der Unterzeile: Sie zerbricht daran, dass sie keine Kinder bekommen kann. Hintergrund ist, dass das Fürstentum, der Staat Monaco, oder vielleicht auch nur die Regenbo- genredakteure, lange darauf gewartet haben, dass der Nachwuchs bei Albert und Charlène von Monaco ins Haus steht. Sie wurde und wurde nicht schwanger. In der Welt der Regenbogenpresse und der Adelsfamilien heißt es, wenn eine Frau nicht schwanger werden kann, dass sie nicht viel Wert für die Krone hat, weil dann natürlich kein Thronfolger vorhanden ist.

Alles überholt, aber dieses Frauenbild wird von der Regenbogenpresse immer noch hochgehalten. Dieses Heft hat behauptet, dass sie unfruchtbar sei. Das ist, unabhängig vom Wahrheitsgehalt, ein immenser Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, da ihre Intimsphäre betroffen ist. Da sieht das Presserecht vor, dass das eine völlige Tabuzone ist. Es muss also nicht zwischen öffentlichem Informationsinteresse und Persönlichkeitsrecht abgewogen werden. Die Intimsphäre darf nicht Gegenstand von Bericht- erstattung sein. Zumal sich gezeigt hat, dass sie nicht unfruchtbar ist, weil sie dann mit Zwillingen schwanger wurde. Es war also auch noch eine falsche Berichterstattung, was eher Regel als Ausnahme bei den Regenbogenheften ist.

Wenn ihr über die Regenbogenpresse bloggt, gibt es sicher auch den ein oder anderen Mitarbeiter, der euch kennt. Gab es schon mal Hass-E-Mails?
Wir werden von ein paar Leuten aus der Regenbogenwelt gelesen. Es ist aber nicht so, dass ständig böse E-Mails ankommen. Da sind wir auch nicht besonders scharf drauf. Es gab aber schon ein paar Mails, die ein bisschen schärfer im Ton waren, oder ein paar Kommentare bei uns auf der Seite, in denen gefragt wird, ob wir noch alle Latten am Zaun haben. Das ist zwar nicht mehr besonders sachlich, aber eine Art der Kritik, mit der wir noch leben können. Die Fronten sind geklärt: Wir finden nicht besonders toll, was die machen, und die finden nicht besonders toll, was wir machen. Aber es melden sich ab und an auch Redakteure oder Verlagsmitarbeiter dieser Zeitschriften, die sagen: Ich finde gut, dass ihr das macht. Oder: Wenn ihr wüsstet, was sonst noch so passiert.

Und die Leser selbst?
Da gibt es selten Reaktionen, denn die Leserschaft der Regenbogenpresse ist wie gesagt seltener im Internet unterwegs. Manchmal schreiben uns aber Leute und erzählen, dass sie die Hefte hauptsächlich wegen der Preisrätsel kaufen und sich über den Wahrheitsgehalt der Geschichten wundern.

Euer Blog beziehungsweise die Organisation, die dahinter steckt, ist mittlerweile als gemeinnützig anerkannt. Wie kam es dazu?
Das muss man sauber trennen: Der „Topf voll Gold“ selbst ist nicht gemeinnützig. Das wäre eine Sensation, denn dann wären wir das aller- erste gemeinnützige journalistische Medium Deutschlands. Das ist einfach noch nicht möglich. Also haben wir eine Unternehmergesellschaft gegründet, eine Art Mini-GmbH. Davon ist der „Topf voll Gold“ sozusagen ein Projekt. Diese UG kann man unter bestimmten Umständen vom Finanzamt als gemeinnützig anerkennen lassen. Geregelt ist das durch die so genannte Abgabenordnung. Die sagt relativ genau, was in Deutschland gemeinnützig ist und was nicht. Journalismus gehört nicht dazu, also konnten wir den „Topf voll Gold“ nicht als gemeinnützig anerkennen lassen. Aber wir konnten glaubhaft darlegen, dass wir mit unserer Arbeit einen Bildungsaspekt ansprechen. Dazu gehört allgemeine Volksbildung, Erwachsenenbildung und so weiter. Wir mussten also zurück in die analoge Welt gehen: In Zukunft werden wir zum Thema Medienkritik zum Beispiel Podiumsdiskussionen und Kneipenabende veranstalten.

Dafür werden dann auch die Spenden verwendet, die man auf eurem Blog machen kann?
Unter anderem. Das heißt aber nicht, dass wir davon nicht auch etwas in den „Topf voll Gold“ stecken dürfen. Im Unternehmenszweck steht, dass wir diese Podiumsdiskussionen auf dem „Topf voll Gold“ dokumentieren werden, so ist dann auch die Rückverknüpfung gegeben. Das entspricht dann noch einem weiteren Bildungsaspekt, denn durch das Digitale machen wir das Ganze einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich.

Ähnlich wie der „Topf voll Gold“ funktioniert auch der „Bildblog“. Was ist schlimmer: Regenbogenpresse oder Bild-Zeitung?
Ohne Frage die Bild-Zeitung. Die Regenbogenpresse ist größer als Bild, zumindest zusammengenommen. Es gibt etwa 70 bis 80 Hefte mit verschiedenen Titeln, die Verlage selber sprechen von acht bis neun Millionen verkauften Heften pro Woche. Das ist eine ganze Menge. Wenn zum Beispiel der Bauer Verlag oder Burda, die alle mehrere Hefte rausgeben, eine konzertierte Aktion gegen einen Promi oder eine andere Person fahren wollen, dann könnten sie ziemlich schnell ein Leben zerstören – oder jemanden zum Star machen. Es besteht also eine große Meinungsmacht, aber auf einem eher seichten Gebiet. Das ist der wichtige Unterschied zur Bild-Zeitung. Wenn die Bild-Zeitung Stimmung in einer wichtigen politischen Frage machen will, dann macht sie es. Sie weiß, wie man Kampagnen fährt. Man muss sich nur die Griechenland-Berichterstattung angucken und sie mit Stammtischparolen abgleichen. Dementsprechend ist Bild gefährlicher.

Das Interview führte Lisa Marie Albrecht. Sie ist Redaktionsvolontärin, macht gerne Umfragen und hört vor Interviews gerne Musik mit viel Bass – das nimmt die Anspannung.

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